Sie soll der neue Stern am Literaturhimmel sein, sie soll ein Debüt geschrieben haben, welches Autorin Zadie Smith und Sex and the City-Star Sarah Jessica Parker umgehauen hat, sie soll laut dem Independent die wichtigste Stimme der Generation Y (also der Millennials) sein. Also meiner Generation. Wie soll man sich also diesem Roman als Literaturliebhaberin entziehen können: am besten gar nicht.
Mit kaum einem Roman habe ich mich in letzter Zeit intensiver auseinandergesetzt als mit diesem und manchen von euch ist der Grund vielleicht bekannt. Seit dem 1. Juli bin ich innerhalb des Online Marketings für die Verlage btb und Luchterhand bei der Verlagsgruppe Random House tätig und mit Sally Rooney feiere ich auch mein persönliches Debüt im neuen Job. Wir haben uns u.a. mit möglichen Zielgruppen für den Roman und einer Social Media Kampagne auseinandergesetzt. Ihr müsst aber keine Bedenken haben, ich werde weiterhin ehrliche Rezensionen schreiben und Bücher aus anderen Verlagen lesen, damit auf dem Blog die Vielfalt erhalten bleibt.
Und bevor es losgeht: Damit ihr einen Einblick in das sprachliche Gesamtkunstwerk von Sally Rooney erhaltet, habe ich am Ende dieses Blogbeitrags für euch die schönsten Textstellen aus Gespräche mit Freunden aufgelistet.
Inhaltsangabe zu Gespräche mit Freunden von Sally Rooney
Frances und Bobby sind beste Freundinnen und Ex-Freundinnen. Der Ex-Status scheint keine der beiden zu stören, sie kommen gut klar. Sie studieren in Dublin und treten gelegentlich gemeinsam mit Texten von Frances auf. Sie lernen Nick und Melissa kennen, ein älteres Ehepaar, die zu Freunden werden. Es entwickelt sich eine Art Freundschaft+, denn Frances verliebt sich in Nick und Bobby in Melissa. Letzteres ist eher nebensächlich. Prickelnd wird es im Sommer als Melissa die beiden Studentinnen in ihr Haus nach Frankreich einlädt, doch viel anregender sind die Gespräche, die die vier ProtagonistInnen führen. Über Sex und Freundschaft, Kunst und Literatur, Politik und Liebe.
Meine Gedanken zum Roman Gespräche mit Freunden
Zugegeben der Einstieg war etwas holprig für mich. Es dauerte an die 40 Seiten, bis ich mit der Erzählung warm wurde, aber spätestens dann war ich gefangen. Ich huschte eilig mit einem Bleistift in der Hand über die Zeilen und markierte fleißig meine Lieblingstextstellen. Und davon gab es reichlich. Den Roman nur auf Basis der Handlung und Sprache zu bewerten (die durchaus spannend ist!) wäre unzulänglich, denn die eigentliche Stärke liegt Zwischen den Zeilen.
Für alle, die eine Liebesgeschichte haben wollen: die gibt es! Für alle die ein sprachliches Gesamtkunstwerk voll von rhetorischen Figuren haben wollen: auch das ist geboten! Doch das was am imposantesten ist, ist dieses Lebensgefühl, welches von der Autorin geschickt vermittelt wird. Der Clash der Generationen: junge Studentinnen mit großen Ideologien und Sinn für politische Korrektheit treffen auf ein älteres Ehepaar in den Dreißigern, die ein Leben führen, welches die Studentinnen nicht wollen und doch daran teilnehmen. Frances hat keinen Plan für später und sie hat auch kein Geld – sie hat nicht einmal ein Interesse daran zu arbeiten, um welches zu verdienen. Lieber macht sie ein unbezahltes Praktikum in einer Literaturagentur. Bobbi hat reiche Eltern, verabscheut gleichzeitig den Kapitalismus während sie davon profitiert, sie studiert Geschichte und kämpft gegen alle gesellschaftlichen Normen an. Ähnlich komplex sind auch die Figuren Melissa und Nick. Am meisten erfahren wir über die vier Personen in ihren E-Mails, ich liebte es diese zu lesen. Die von Nick an Frances. Von Frances an Nick. Von Melissa an Frances und von Frances an Bobbi.
Wenn ihr Gespräche mit Freunden lest, lasst ihr euch auf einen Liebesreigen ein, der anders endet als erwartet und euch auf dem Weg zum Ende sprachlich überzeugen wird.
Lieblingstextstellen aus Gespräche mit Freunden
„Ich war erleichtert, dass er alles in Kleinbuchstaben geschrieben hatte, so wie immer. Es wäre dramatisch gewesen, Großschreibung in einer so angespannten Lage einzuführen.“ (S. 77)
„Ich erklärte ihm, dass ich den Kapitalismus zerstören wolle und dass ich Männlichkeit persönlich als unterdrückend empfand. Nick sagte mir, er sein ‚grundsätzlich‘ ein Marxist, und er wolle nicht, dass ich ihn verurteilte, weil er ein Haus besaß.“ (S. 94)
„Vor jenem Sommer hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich eine solche Einladung von einer Frau akzeptieren würde, mit deren Ehemann ich mehrfach geschlafen hatte. Ich hatte ein krankhaftes Interesse an solchen Informationen über mich selbst.“ (S.117)
„Obwohl sie sagte, sie hasse die Reichen, war ihre Familie reich, und andere wohlhabende Menschen erkannten sie als eine der ihren an. Ihre radikale politische Einstellung betrachteten sie als so etwas wie bourgeoise Selbstkritik, nichts allzu Ernsthaftes, und sprachen mit ihr über Restaurants oder wo man in Rom wohnte.“ (S. 117)
„Wann bist du so radikal geworden?, fragte Evelyn. Du verbringst zu viel Zeit mit Studenten, sie setzen dir Flöhe ins Ohr.“ (S. 138)
LIEBLINGSANALOGIE – „Durch seine Trunkenheit fühlte ich mich schmutzig. Ich wollte mich duschen oder frisches Obst essen.“ (S. 145)
„Bobbi findet, dass Depressionen die menschliche Antwort auf die Zustände des Spätkapitalismus sind.“ (S. 150)
„Das nicht existente Baby ging in eine neue Kategorie der Nichtexistenz ein, das heißt, es gehörte nun zu den Dingen, die nicht aufgehört hatten zu existieren, sondern tatsächlich niemals existiert hatten. Ich fühlte mich dumm, und die Vorstellung, dass ich je schwanger gewesen war, schien jetzt wehmütig naiv.“ (S. 205)
„War ‚Nettigkeit‘ nur ein anderer Ausdruck für Unterwerfung im Angesicht eines Konflikts? Solche Dinge schrieb ich als Teenager in mein Tagebuch: Als Femministin habe ich das Recht, niemanden zu lieben.“ (S. 213)
LIEBLINGSZITAT – „Ich liebte es, wenn er für mich auf diese Weise verfügbar war, wenn unsere Beziehung wie ein Word-Dokument war, das wir zusammen schrieben und bearbeiteten, oder wie ein Insiderwitz, den niemand außer uns verstehen konnte.“ (S. 222)
„Meine Erkenntnis, dass ich in Nick verliebt war, nicht nur verknallt, sondern ihm auf eine Weise, die nachhaltige Folgen für mein Lebensglück hatte, zutiefst zugetan war, hatte in mir eine ganz neue Art der Eifersucht auf Melissa geweckt.“ (S. 241)
„Meine Lieblingsstelle in den Evangelien war bei Matthäus, als Jesus sagte: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.“ (S. 245)
„Jesus wollte immer der bessere Mensch sein, ich auch.“ (S. 246)
„Seit wann liebst du mich?, fragte ich. Seit ich dich kenne, würde ich sagen. Wenn ich es ganz philosophisch betrachten wollte, würde ich sagen, ich habe dich schon davor geliebt.“ (S. 277)
„Sie sagte, Monogamie basiere auf einer Vereinbarung, die Männern in patrilinearen Gesellschaften dazu diene, ihr Eigentum den genetischen Nachfolger weiterzureichen, traditionell ermöglicht durch sexuellen Anspruch auf eine Ehefrau. Nicht-Monogamie könnte auf einem völlig anderen Modell basieren, sagte Bobbi. Etwas, was eher spontaner Einwilligung entspricht.“ (S. 299)
„Das hier ist so bürgerlich und peinlich, dass ich es zerstören werden.“ (S. 350)
„Im Bett falteten wir uns wie Origami ineinander.“ (S. 357)
„Nicht, dass Gott auf irgendeine materielle Weise existierte, aber als gemeinschaftliche kulturelle Praxis, die so weit verbreitet war, dass sie materiell erschien, wie Sprache oder Gender.“ (S. 353f)
Weitere Besprechungen zum Roman:
SPIEGEL ONLINE I ndr.de I Süddeutsche.de
Der Roman wurde mir als Leseexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt.
Ein „älteres Ehepaar in den Dreißigern“? Nun, ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich nicht zur Zielgruppe dieses Romans gehöre… 😂
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Das ist keinesfalls so gemeint – „älteres Ehepaar“ deshalb, weil die zwei Studentinnen zarte 21 Jahre alt sind und Melissa und Nick um mehr als 10 Jahre älter sind und ein völlig anderes Leben führen. Die Beschreibung „älteres Ehepaar“ soll vielmehr diesen Gap zwischen ihren Welten verdeutlichen.
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Ach so, dann bin ich beruhigt 😊
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