Rezension und Podcast-Folge // Stella von Takis Würger

Es gibt neuen Lesestoff von einem meiner Lieblingsautoren! Takis Würger hat mich schon im Jahr 2017 mit seinem Erstlingsroman Der Club umgehauen (zur Rezension). Zu Beginn dieses Jahres hat er seinen zweiten Roman im Hanser Verlag veröffentlicht, der sofort für Furore gesorgt hat. Er widmet sich dieses Mal einem sehr sensiblen Thema: dem Holocaust. In den deutschsprachigen Feuilletons wurde der Roman Stella komplett verrissen und kritisiert, die Buchhändler und Blogger stehen größtenteils hinter dem Autor. Ich habe ihn Mitte März persönlich auf einer Lesung getroffen und mich schockverliebt. Meine Meinung zum Roman, eine neue Podcastfolge zur Debatte und meine Eindrücke von der Lesung könnt ihr in diesem Blogpost lesen.

Inhaltsangabe zu Stella von Takis Würger

Der Roman beginnt mit Erzählungen aus der Kindheit des Protagonisten Friedrich. Er wächst in der Schweiz auf und verliert in einer brutalen Szene die Fähigkeit Farben wahrzunehmen. Nichtsdestotrotz bricht Friedrich im Jahr 1942 nach Berlin auf, um seine künstlerischen Fähigkeiten zu verbessern, aber auch um sich selbst von der Situation in Deutschland zu überzeugen. „Im Jahr 1942 nach Berlin zu fahren, klingt heute komisch – war es damals aber nicht. Es war eine Zeit in der ein junger Schweizer denken konnte, dass Deutschland den Krieg gewinnt.“, erklärte Takis Würger bei der Lesung in München. In Berlin angekommen, nistet sich Friedrich in einem Luxushotel ein und lernt bei seinem ersten Malkurs Stella kennen, die es als Aktmodel zu malen galt. Dann verliebt er sich und wir LeserInnen erleben eine Liebesgeschichte in einem authentischen historischen Umfeld.

Meine Gedanken zum Roman Stella

Ich habe das große Glück gehabt ganz unvoreingenommen den Roman lesen zu können – ich hatte wirklich keine Ahnung von der Diskussion, die unter Literaturkritikern gleich nach Erscheinen des Romans stattgefunden hatte. Ich versuche eigentlich immer erst nach der Lektüre mich durch Rezensionen zu arbeiten. Und nach der Lektüre hatte ich ein durchwegs positives Gefühl – mir hat die Erzählung sehr gut gefallen. Der Aha-Moment zu erfahren wer Stella ist und was sie getan hat, war intensiv und sorgte für Chaos in meinem Kopf. Ähnlich naiv wie der Ich-Erzähler Friedrich, wusste ich nicht wer die historische Figur Stella Goldschlag war. Auch Takis Würger kannte die Geschichte von Stella nicht, bis ihn ein Freund darauf aufmerksam machte. „Ich kann zur historischen Aufarbeitung nichts beitragen. Ich wollte der Frage nachgehen, die nirgendwo erwähnt ist: Warum hat sie das getan?“ sagt Würger über die Motivation Stella zu schreiben. Aber was hat sie getan? Stella Goldschlag war eine sogenannte Greiferin und hat Juden an die Gestapo verraten, obwohl sie selbst Jüdin war. Und warum? Auf diese Frage versucht Takis Würger im kurzweiligen Roman einzugehen, ohne aber konkrete Antworten zu liefern.

Was die Lektüre außerdem spannend gestaltete, waren die drei Erzählebenen: Zu Beginn eines jeden Kapitels erhalten wir einen kurzen Einblick in die Chronik, also reale Ereignisse der damaligen Zeit. Darauf folgen die Erzählpassagen, die manchmal um Auszüge aus den Protokollen ergänzt werden, die bei den Prozessen der echten Stella entstanden sind. Der Schreibstil ist unvergleichlich der von Takis Würger, das Adjektiv filigran beschreibt es für mich am besten. Wir lernen ganz nebenbei ein Berlin kennen, wie es wirklich war. Takis Würger arbeitete für den Roman mit drei verschiedenen Historikern zusammen, war zwei Mal in Auschwitz, flog nach Israel und hat mit einem Zeitzeugen und überlebenden Juden aus dem Elsass gesprochen. Er wollte einen möglichst authentischen Roman schreiben, wenn er auch hauptsächlich dadurch charakterisiert ist, dass er einen historischen Stoff mit Fiktion vermischt. Denn das darf man (mit dem entsprechenden Feingefühl) in der Literatur, egal welches Thema behandelt wird.

Eindrücke von der Lesung mit Takis Würger in München

Ich bin mit einem wohligen Gefühl von der Lesung nach Hause gegangen. Takis Würger ist unglaublich sympathisch und hat ausgesprochen offen über die Kritik an seinem Zweitroman gesprochen. Auch beim Vorlesen einiger Textpassagen bin ich dahingeschmolzen (obwohl er sich eine der für mich brutalsten Szenen ausgesucht hatte). Er hat aber nicht hauptsächlich gelesen, sondern über das Drumherum gesprochen, offiziell war es auch keine Lesung, sondern ein Werkstattgespräch, welches wir besucht hatten. Hängengeblieben ist viel, aber ich möchte vor allem vier Dinge festhalten:

  • Takis Würger hatte nicht damit gerechnet, dass er für Stella so stark kritisiert werden würde. Er hat den Roman aber dennoch mit Der Vorleser von Bernhard Schlink verglichen, der damals gleich nach Erscheinen ähnliche Vorwürfe erhalten hatte, wie Würger jetzt auch: Instrumentalisierung und eine scheinbar inakzeptable Verbindung einer Liebesgeschichte mit der Schoah innerhalb einer Erzählung.
  • Der Autor hat bereits über 1.000 Mails mit Reaktionen zu Stella erhalten, nutzt seinen Posteingang aber als Kraftquelle, da tatsächlich von den vielen Mails nur circa zehn verletzende Nachrichten enthalten.
  • Er hätte sich viel eher gewünscht, dass der Diskurs in eine andere Richtung gegangen wäre. Eine Diskussion zum Thema individuelle Schuld und das Sterben der letzten Zeitzeugen zum Beispiel.
  • Es liegt ihm außerdem am Herzen, dass sich mehr Menschen und insbesondere Jugendliche mit diesem historischen Ereignis auseinandersetzen. Denn 4 von 10 SchülerInnen in Deutschland wissen lt. Aussage des Autors, der sich auf eine Studie bezieht, nicht was in Auschwitz passiert ist. Hier nachzulesen: spiegel.de

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Neue Podcast-Folge: Interview mit Buchhändler Robert Renk zum Roman Stella

Die Literaturkritiker batteln sich mit schlechten Kritiken zum Roman, der Großteil der BuchhändlerInnen steht allerdings hinter dem Autor Takis Würger. Ich habe mich mit Buchhändler Robert Renk zum vermeintlichen Skandalbuch unterhalten, um herauszufinden warum alle über Stella lästern. Das Interview könnt ihr euch hier direkt anhören:

Weitere Artikel zum Thema:

Schlechte Kritiken: zeit.de I sueddeutsche.de I faz.net
Unterstützung der Buchhändler: zeit.de
Rezensionen anderer Blogger: leselustbuecher I isasbuecherblog

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