Etwas Vergleichbares habe ich bisher noch nie gelesen. 122 Seiten unterteilt in Kapitel zu je drei Seiten. Mich würde es nicht wundern, wenn die Zeichenanzahl der Kapitel auch noch das gesamte Buch über identisch ist, denn so scheint es.
Der Beginn der Soap war etwas holprig für mich, doch das ist auf die vielen Personen zurückzuführen, die es einzuordnen gilt. Am Ende des Buches habe ich dann die Personenliste entdeckt, diese wäre zu Beginn des Buches bestimmt hilfreicher gewesen.
Martin Suter tischt hier wahrlich eine Soap inklusive Getuschel, Affären und Intrigen auf, die wir aus dem Fernsehen kennen und projiziert das Ganze auf den Business Bereich. Das wird nicht nur anhand des Handlungsortes (Firma CROSNA) deutlich, sondern auch anhand des verwendeten Wirtschafts-Jargons, gespickt mit zahlreichen Anglizismen:
„Immerhin ist er high-profile“
„Seminar für Decision-Makers im Marketing“
„es [kann] nicht schaden ab und zu was für die awareness zu tun“ oder mein Favorit:„Durch diese Entwicklung reduzierte sich die visibility von crea.sales praktisch auf null. [Ihm] blieb nichts anderes übrig, als vorübergehend Art Direction und Copy zu outsourcen und die ganze Hoffnung auf die Analphabetismus-Sensibilisierungskampagne zu setzen.“
Hauptperson der Soap ist Tobler. Von ihm erfahren wir alle Gedankengänge, die in einem „Wirtschaftler-Kopf“ wohl so verankert sein müssen. Ein Picknick mit der Familie wird da schnell zur Managementaufgabe, unterteilt in Planung, Delegation, Motivation usw. und ein Wochenende alleine zur Standortbestimmung.
Was Toblers genauen Aufgaben innerhalb der Firma sind, erfahren wir nicht, wir wissen nur: Er will im hierarchischen Organigramm nach ganz oben. Was die Firma eigentlich macht, ist ebenso schleierhaft: Unternehmen der Industriebedarfsbranche.
Die kurzen Kapitel erzählen von vermuteten Nachbesetzungen in der Firma, vom Schnittblumenbudget der Sekretärin, von Videoaufnahmen im Aufzug oder vom Geschenkeeinkauf für den Chef. Immer wieder gipfeln die Kapitel in Ironie mit einem Hauch von Sarkasmus. In Teilen bringt es einen auch zum Schmunzeln, wie an folgender Stelle, als Tobler seinen kurzen Wortwechsel mit seinem Chef wie folgt wiedergibt:
Realität
Chef: „Alles paletti?“
Tobler: „Alles picobello, und bei Ihnen?“
Chef: „Super.“
vs. Wiedergabe
„Er [Tobler] berichtet der Runde, dass sich Bäriswil [der Chef] danach erkundigt habe, wie es in seinem Bereich so laufe, und dass er ihm einen insgesamt positiven Bericht abgeliefert habe und anschließend seinerseits auf die Gesamtlage aus Bäriswil Sicht zu sprechen gekommen sei, welche dieser zusammenfassend optimistisch beurteilt habe!“
(Suter 2016, S. 118)
Herrlich! Eine nette Lektüre für Business-Menschen, die mit Augenzwinkern ihrer Branche entgegnen. Den out of business groups rate ich zu einem Fachwörterbuch.
Hier geht’s zum Buch.
Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar, das mir vom Diogenes Verlag kostenlos zur Verfügung gestellt wurde.
Nachtrag am 25. Oktober 2016: Es ist erschreckend, aber worüber ich beim Lesen von Alles im Griff noch geschmunzelt habe, ist Realität geworden. Auch ich bin nun unter die Business-Menschen gegangen und sehe die Erzählung nun komplett anders. Als mir meine Kollegin erzählt hat, dass wir im Büro jede Woche frische Blumen bekommen, habe ich sofort an diese Business-Soap denken müssen! So schnell kann sich die Perspektive ändern.
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