Erinnern ist eine andere Art von Vergessen – Der Geschmack von Apfelkernen von Katharina Hagena

Wie sieht der Garten im Winter aus? An diese und viele weiteren Fragen ihrer Kindheit erinnert sich Iris, als sie zum Haus ihrer Großmutter Bertha zurückkehrt. Ihr wollte Bertha das Haus in Boothven vererben und nun muss sich Iris entscheiden, ob sie das Erbe annimmt.

Der Garten ist ein zentrales Motiv des Romans. Die gesamte Handlung rankt sich darum. Einige der Pflanzen interagieren sogar mit den Ereignissen rund um den Garten herum: wenn die Johannisbeeren nach einem traurigen Ereignis weiß werden oder wenn die Äpfel des „Baumes der Erkenntnis“, nach dem Beischlaf von Iris mit ihrem Geliebten, im Juni nochmal reif werden. Der Geruch der Boskopäpfel weckt viele Erinnerungen an die Zeit, als Iris ihre Ferien in Bootshaven verbrachte und mit ihrer Kusine Rosmarie, sowie Mira spielte. Alternierend erzählt Katharina Hagena von der jungen und der erwachsenen Iris und dem Schachspiel zwischen dem Erinnern und dem Vergessen.

Besonders Bertha wird zum Inbegriff des Vergessens:

„Wurden nur die Menschen vergesslich, die etwas zu vergessen hatten? War Vergesslichkeit einfach nur die Unfähigkeit, sich etwas zu merken? Vielleicht vergaßen die alten Leute gar nichts, sie weigerten sich nur, sich Dinge zu merken. Ab einer bestimmten Anzahl von Erinnerungen musste es doch jedem zu viel werden. Also war Vergessen auch nur eine Form des Erinnerns. Würde man nichts vergessen, könnte man sich auch nicht an etwas erinnern. Das Vergessen war ein Ozean, der sich um Gedächtnisinseln schloss. Es gab darin Strömungen, Strudel und Untiefen. Manchmal tauchten Sandbänke auf und schoben sich an die Inseln, manchmal verschwand etwas. Das Hirn hatte Gezeiten.“ (Hagena 2009, S. 97f)

Solche und viele weiteren Zitate birgt das Buch, das uns über das Vergessen, die Wahrheit und das Erinnern unterrichtet. Besonders interessant ist auch die Definition der Protagonistin über das Lesen (immer wieder zeigt sich im Roman ihre Liebe zu Worten und zu vergessenen Büchern):

„Lesen, das war das Gleiche wie sammeln, und sammeln war das Gleiche wie aufbewahren, und aufbewahren war das Gleiche wie erinnern, und erinnern war das Gleiche wie nicht genau zu wissen, und nicht genau zu wissen war das Gleiche wie vergessen zu haben, und vergessen war das Gleiche wir fallen, und das Fallen musste ein Ende haben“ (Hagena 2009, S. 22)

Der Geschmack von Apfelkernen ist genau das richtige Buch für die warmen Tage und bietet eine nachdenklich, in einigen Stellen skurrile Geschichte, die ich nur weiterempfehlen kann. Sie erzählt Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten der Liebe, trotzdem sind sie in allen Facetten romantisch, weil sie vor allem authentisch sind. Alle Frauen der Geschichte schillern in bunten Farben, die Männer hüllen sich eher in blasse Töne. Das Ende ist besonders aufschlussreich und der Epilog lässt schließlich alle Herzen aufatmen.

Auch die Verfilmung habe ich mir angesehen. Ich finde sie ist gut gelungen, wenn auch ein paar wichtige Details fehlen oder geändert wurden. Aber was wäre ein Buch noch wert, wenn die Verfilmung es ersetzen könnte. Die Kleider hätte ich mir bunter vorgestellt, die SchauspielerInnen waren dabei gut ausgewählt. Einzig und allein Peter Klaasens Haarfarbe hätte eine andere sein müssen, das hat ihn an Attraktivität gekostet!

Ein weiteres Zitat möchte ich euch auch nicht vorenthalten und meinen Beitrag damit abschließen: „Wer die Zeit vergaß, hörte auf zu altern. Das Vergessen schlug die Zeit, die Feindin des Gedächtnisses. Denn schließlich heilte die Zeit alle Wunden nur, indem sie sich mit dem Vergessen verbündete.“ (Hagena 2009, S. 198)

Read. Love. Share. Eure Evelyn.

Hier geht’s zum Buch.

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